„Am Steinkart“ sollen 44 neue Wohnungen entstehen – 14 Bürger reichen Stellungnahmen ein – 72 Seiten abgewogen
Noch nie hat ein geplantes Bauvorhaben derart Widerspruch von Anwohnern hervorgerufen. 72 Seiten Einwände musste der Bauausschuss der Stadt Bad Griesbach in seiner jüngsten Sitzung abhandeln, 14 Bürgerinnen und Bürger hatten diese im Rathaus eingereicht. Sie alle eint die Ablehnung einer Wohnanlage in ihrer Nachbarschaft. In direkter Nähe zum Wald sollen „Am Steinkart“ vier neue Wohnkörper mit insgesamt 44 Wohneinheiten entstehen.
„Im idyllischen Bad Griesbach wollen wir in attraktiver Lage mit Alpenpanorama ein anspruchsvolles Neubauprojekt realisieren ...“, wirbt die Bayernareal Wohnbau GmbH und Co. KG aus Moosinning für das Bauvorhaben.
Ursprünglich waren dort zwei Hochhäuser geplant
Knapp 6600 Quadratmeter ist das Grundstück groß, es lag seit Aufstellung des Bebauungsplans im Jahr 1971 brach, während ringsum Einfamilienhäuser auf großen Grundstücken entstanden. Schon vor über 50 Jahren waren auf dieser Fläche Wohnanlagen vorgesehen, allerdings in anderer Architektur: zwei Gebäudekomplexe, jeweils mit acht Geschossen.
Derart in die Höhe geht es in den neuen Entwürfen nicht mehr, statt acht sind es nur drei Geschosse, dafür insgesamt vier Gebäude, die entstehen sollen. Dafür ist auch die Festlegung neuer Baugrenzen erforderlich, zudem soll die zulässige Anzahl der Wohnungen von 36 auf 44 erhöht werden. Und auch der Stellplatzbedarf steigt von bisher 1,3 pro Einheit auf zwei.
Behörden begrüßen Bauvorhaben
In Deutschland fehlt es massiv an Wohnraum. Bei den zuständigen Behörden finden die neue Pläne Anklang: „Das entspricht den LEP-Zielen Innenentwicklung und Nachverdichtung“, heißt es in der Stellungnahme der Abteilung Städtebau am Landratsamt. Und auch die Regierung von Niederbayern hat gegen diese Form der Nachverdichtung keinerlei Einwände.
Ganz im Gegensatz zu den Anwohnern, die sich zahlreich mit ihren Einwänden, teils anwaltlich vertreten, an die Stadt gewandt haben. Sie führen beispielsweise an, dass die geplanten 44 Wohneinheiten praktisch eine Verdreifachung der Wohneinheiten an einer engen Siedlungsstraße bedeuten, die dafür nicht ausgelegt sei. Veronika Sedlmeier vom städtische Bauamt indes betont beim Verlesen der Abwägung, dass auf der Parzelle bereits 1971 Mehrfamilienhäuser – zwei Stück, je acht Geschosse – vorgesehen waren.
In der Folge wurde die Planung angepasst, fortan waren bis zu vier Gebäude mit bis zu vier Geschossen erlaubt, später eine ausgeglichenere Mehrfamilienhausbebauung, die dem Landesentwicklungsplan Bayern (LEP) entspricht. Auch die geplanten Duplex-Parkplätze in der Tiefgarage sind ein Punkt in den Einwendungen – „doch die Tiefgarage ist geschlossen und nur für die jeweiligen Eigentümer zugänglich. Zudem sind die Duplex-Parkplätze nach Baurecht unabhängig voneinander anfahrbare Stellplätze.“
Straße wird auf sechs Meter verbreitert
Noch ein Argument gegen das Bauvorhaben: Die schmale Straße, die das Wohngebiet bisher erschließt. In der weiteren Planung, so das Bauamt, soll ein Regelquerschnitt der öffentlichen Verkehrsfläche – Fahrbahn und Gehweg – mit einer Breite von sechs Metern aufgenommen werden. Ferner wurde ein Verkehrsgutachten erstellt, in dem sich ein maximales Verkehrsaufkommen von 253 Fahrzeugen in 24 Stunden ergab, doch sämtliche Immissionsgrenzwerte sowohl tagsüber als auch nachts werden nicht überschritten, im Gegenteil sogar unterschritten.
Dass Haus 1 die Abstandsflächen zum Nachbargrundstück nicht einhält, wurde ebenfalls als Argument angebracht. Hier werde, so Veronika Sedlmeier, die Baugrenze entsprechend enger gefasst, um die Abstandsflächen auf dem eigenen Grundstück nachweisen zu können. Auch innerhalb der vier Gebäude passen die Abstände. Die Vorgaben zur Pflasterung mit Rasenfugenpflaster werden ebenfalls eingehalten.
Große Sorge: Verschattung der Nachbargrundstücke
Weitere Sorgen der Anwohner: die Verschattung und die erdrückende Wirkung auf die Umgebung. Die Einlassung der Fachstellen dazu: „Eine Gegenüberstellung der bisherigen und der neuen Planung zeigt, dass der First bei Haus 1 genau 75 Zentimeter höher liegt als bisher, doch die Firstrichtung des neu geplanten – flacheren – Walmdachs verläuft in West-Ost-Richtung, was zu einer insgesamt geringeren Verschattung führt als das ursprünglich dort einst geplante steilere Satteldach mit Nord-Süd-First. Die Gebäude wurden zudem weiter von der bestehenden Bebauung im Osten abgerückt, was die Verschattung reduziert.“
Auch im Westen nehme die Verschattung nicht zu. Es ergebe sich ferner – auch das war ein vorgebrachter Einwand – keine Überschreitung der in der Verkehrslärmschutzverordnung festgelegten Immissionsgrenzwerte. Zudem wirke der Stellplatzschlüssel von zwei Stellplätzen pro Wohneinheit parkenden Autos auf den Siedlungsstraßen entgegen, „eine Verbesserung im Vergleich zum bisherigen Bebauungsplan mit 1,3“.
Mehr Lärm und Lichtverschmutzung?
Weitere Kritik rufen die Außenstellplätze hervor, die sich unmittelbar an der Waldgrenze befinden würden, man fürchtet eine Erhöhung der CO2-Werte, des Lärms und der Lichtverschmutzung. Jedoch sei geplant, so das Bauamt, dass das Carport an der dem Wald zugewandten Seite geschlossen werde und wenn überhaupt nur von innen beleuchtet werde. Eine großflächige Außenbeleuchtung sei zudem nicht vorgesehen.
Anwohner fürchten außerdem durch die massive Versiegelung eine Überlastung des Abwassersystems. Doch es gibt ein Regenrückhaltebecken, das über einen Notüberlauf verfügt, über den das Regenwasser geordnet per Rohrleitung zum städtischen Mischwasserkanal geleitet werde. Für den Fall eines Überstaus werde entlang der westlichen Grundstücksgrenze eine 30 Zentimeter hohe Mauer zum Schutz des tiefer liegenden Nachbargrundstücks vor urbanen Sturzfluten errichtet.
Alle anderen Grundstücke seien nicht betroffen, da die Straße „Am Steinkart“ in den entsprechenden Bereichen ein Quergefälle in nördlicher Richtung habe sowie ein steiles Längsgefälle in westlicher Richtung – ein Abfluss des Niederschlagswassers auf andere Grundstücke sei sehr unwahrscheinlich. Die gesamte Regenwasserrückhaltung wurde anhand eines zehnjährigen Regenereignisses berechnet und entsprechend dimensioniert.
Braucht es so viele Wohnungen überhaupt?
Auch über die Kosten des Vorhabens hat sich ein Anwohner Gedanken gemacht, der Zweifel äußert, ob der Vorhabensträger die erforderlichen finanziellen Mittel habe, das Vorhaben zu beenden. „Die Bonität eines Vorhabensträgers“, heißt es von Seiten der Stadt, sei weder für den Bebauungsplan noch für die Abwägung von Belang. Weiterer Einwand: Es sei fraglich, ob die Erhöhung der Zahl der Wohnungen in der Gemeinde überhaupt erforderlich sei. Hier kommt der Stadt der Demografie-Spiegel des Landesamts für Statistik entgegen: Die Bevölkerung in Bad Griesbach wächst bis 2039 um 5,1 Prozent, zudem wächst insbesondere bei Menschen über 65 Jahren der Bedarf an kleineren Wohnungen für ein bis zwei Personen.
Trotz der Vielzahl an Einwendungen gegen das Projekt bekräftigte Bürgermeister Jürgen Fundke seine Unterstützung: „Ich war von Anfang an für dieses Bauvorhaben und bin es auch jetzt noch, weil ich von rechtlicher Seite her überhaupt nicht dagegen sein kann. Dort ist ein gültiger Bebauungsplan, der rechtskräftig ist“, und so sei es ihm untersagt, dagegen zu sein, „so hart es für den ein oder anderen Nachbarn sein sollte“.
Von einem optisch gelungenen Bauvorhaben sprach Alois Immerfall, „und man ist als Bauausschuss-Mitglied ja auch an Richtlinien von Behörden gebunden. Wir halten uns hier ganz klar an die Vorgaben.“
„Ein massives Mehr an Menschen und Fahrzeugen“
Natürlich gebe es dort einen rechtskräftigen Bebauungsplan, wandte Werner Münichsdorfner ein, auch dass eine verdichtete Bebauung erwünscht sei, könne er nachvollziehen. Aber „man darf auch die Einwände der Anlieger, die hier sehr massiv sind, nicht auf die leichte Schulter nehmen. Auch ich wohne in diesem Siedlungsgebiet, dort wurden 70 Häuser mit großen Grundstücken gebaut, damit man vielleicht auch ein bisschen Ruhe hat im Alter. Und was da jetzt zusätzlich an Bebauung kommt, ist für mich ein so massives Mehr an Menschen und Fahrzeugen – etwas, das das Gebiet nur sehr schlecht verträgt. Der Verkehr wird sich dort verdoppeln, das ist immens. Deshalb werde ich dagegen stimmen.“
Von einer rekordverdächtigen Anzahl von Einwänden sprach Bernhard Gruber. Josef Fischer konnte die Sorgen der Anwohner verstehen, „und ja, es sind dominante Baukörper. Aber letztendlich haben sich die Zeiten geändert, jeder spricht von Flächenfraß – und somit baut man nun auch in die Höhe.“ Zudem habe jeder gewusst, der sich dort ein Grundstück gekauft habe, dass der Bebauungsplan auf dieser Fläche auch größere Bauten erlaube. „Ob man wirklich 44 Wohnungen braucht, kann und muss ich aber auch nicht entscheiden“, so Fischer, der versuchte, im Projekt einen Mehrwert für die Anwohner zu sehen: „Es kommt ein Gehweg und die Straße wird sogar breiter gemacht.“
Die Abstimmung im Bauausschuss endete mit 5:3 Stimmen für die Abwägung und die Billigung des geänderten Entwurfs des Bebauungsplanes. Nun geht es erneut in die öffentliche Auslegung.
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